Única blickt aufs Meer von Fernando Contreras Castro, aus dem costa-ricanischen Spanisch von Birgit Weilguny. Cover von Yvonne Kuschel.

Stimmen zum Roman
»Única blickt aufs Meer«
von Fernando Contreras Castro

»Von fern wirkte der Hügel, der die Müllhalde als Tagebau in seinen aufgerissenen Eingeweiden trug, wie ein Ameisenhaufen, auf dem es von Frauen unbestimmbaren Alters wimmelte, von Männern und Kindern, die gar kein Alter besaßen, von Ratten und Mäusen, Hunden und Geiern und hunderttausenden Insekten, allesamt ununterscheidbar beim Durchwühlen dessen, was die Stadt für unbrauchbar befunden hatte, auf der Suche nach etwas, das der Zufall weggeworfen hatte; dies alles im Auf und Ab des Abfalls, im Wellenschlag der Traktoren.« (S. 10)

Tag für Tag landen in den Metropolen Berge an Abfall auf Mülldeponien. An einem solchen Ort spielt Fernando Contreras Castros Roman. »Única blickt aufs Meer« erzählt von den sogenannten »Tauchern«, den Menschen, die am Rande der Hauptstadt Costa Ricas im »Müllmeer« nach Verwertbarem suchen. Bereits 1993 ist Fernando Contreras Castros Debütroman erschienen, der in der Sekundarstufe in Costa Rica schon lange Schullektüre ist. Nun erscheint er erstmals in deutscher Sprache bei uns im Verlag, übersetzt von Birgit Weilguny.

Die Taucher, deren Wohn- und Lebensort durch Maßnahmen der Regierung geschlossen werden, finden sich in einer höchst prekären Situation wieder. Die feinfühlige Feder des Autors bewahrt jedoch ihr Gesicht und ihre »unverwechselbaren Geschichten und Persönlichkeiten«. Dieser harsche Kontrast von Menschen, die in den Abfallprodukten einer Gesellschaft leben, deren Teil sie einst waren, mit der Unverrückbarkeit ihrer Charaktere, zeigt starke Wirkung und ist auch heute von Durchschlagskraft und Relevanz. Oliver Fründt resümiert im Kulturkurier der Büchergilde Buchhandlung & Galerie Frankfurt über Protagonistin Única (»Die Einzigartige«) und den Mann, den sie buchstäblich im Müll findet:

­»Diese beiden Figuren strahlen in ihrem Elend eine so große menschliche Würde aus. Das hat mich zutiefst beeindruckt – zumal der Roman ›Unica blickt aufs Meer‹ dadurch überhaupt nichts Abstoßendes hat. Im Gegenteil – bedrückend ist er nur, wenn man sich diese abgrundtiefe Armut glasklar vor Augen führt.«

Dennoch ist der romantische Ton keine Verklärung, wie Judith Hoffmann in ihrer Rezension im Radio Ö1 feststellt. Der einfühlsame Blick ist stets von einem Pragmatismus und Realismus geprägt, der verdeutlicht, weshalb Armut ein Problem darstellt, das zuallererst auf gravierenden hierarchischen Unterschieden beruht. »Und Contreras bringt damit auf den Punkt, was trotz aller Würde und Zuversicht, mit der Única durch ihr bitteres Leben auf der Müllhalde geht, schon auf den ersten Seiten dieses außerordentlichen Romans durchklingt: Bei diesem David-gegen-Goliath-Match wird nicht der kleine Held den biblischen Sieg davontragen.«

So fungiert diese, laut Larissa Siebicke auf kommbuch »wirklich lohnende Leseempfehlung« als ein Spiegel, der uns äußerst anschaulich die Schattenseiten unserer Konsumgesellschaft vorführt und als Ratgeber, wie man Menschlichkeit bewahren und leben kann. So wie Peter Pisa im Kurier schreibt: ­»Poesie als Kontrast macht Elend (und Menschlichkeit!) noch auffälliger.«

»Das Wasser prasselte auf das glänzende, schwarze Federkleid der Geier und sammelte sich überall an, wodurch sich zwischen den Plastiksäcken tausende kleine Teiche bildeten. Unter der schwachen Novembersonne müffelten die reich von Fliegenlarven und anderem Getier befruchteten Wasserlachen und schillerten in allen Farben, wenn sich das Licht darin brach. Das farbenfrohe Spektakel erweckte den Eindruck, der Regenbogen sei ermordet worden und sein Leichnam verfaule nun langsam zwischen den Abfällen. (S.49)«

Judith Hoffmann sprach mit Fernando Contreras Castro angesichts der deutschen Veröffentlichung von »Única blickt aufs Meer«. Das Interview lief im Ö1 Kulturjournal am 21. Juli 2020 und gibt es nun direkt auf unserer Website zum Nachhören.

Im Interview verrät der Autor unter anderem, warum er 2010 »Única mirando al mar« – so der Originaltitel – überarbeitet hat und wie die Situation der Taucher heute in Costa Rica ist.

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